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Wir beleuchten die EuGH-Rechtsprechung zum Thema Rufbereitschaft.

EuGH zur Rufbereitschaft von Arbeitnehmern

Einleitung

Mit seiner Entscheidung vom 21.02.2018 (Az. C-518/15) hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) festgelegt, dass auch die am Wohnort geleistete Rufbereitschaft eines Arbeitnehmers unter die Definition der Arbeitszeit im Sinne des Unionsrechts fallen kann. Dies gilt jedoch nur, sofern der Arbeitgeber bestimmenden Einfluss auf den persönlichen Aufenthaltsort des Arbeitnehmers während des Bereitschaftsdienstes nimmt, indem er etwa eine Leistungserbringung am Arbeitsplatz innerhalb einer kurzen Zeit fordert. 

Das aktuelle EuGH-Urteil 

Die zu diesem Urteil führende Vorlagefrage kommt von dem belgischen Arbeitsgerichtshof in Brüssel: Geklagt hatte im Jahr 2009 ein Mitglied der freiwilligen Feuerwehr gegen die Stadt Nivelles, um Schadensersatz für nicht geleistetes Arbeitsentgelt seit 1981, insbesondere für seinen zu Hause geleisteten Bereitschaftsdient, zu erhalten. Entscheidend war für das vorlegende Gericht, das von der Beklagten als Rechtsmittelinstanz gegen die stattgebende Entscheidung des Arbeitsgerichts Nivelles von 2012 angerufen wurde, die Frage, ob die Mitgliedstaaten von den in Art. 2 der Richtlinie 2003/88 festgelegten Definitionen von „Arbeits-“ und „Ruhezeit“ abweichen dürfen. 

Dies hat der EuGH verneint: Bereits der Wortlaut von Art. 15 und Art. 17 der Richtlinie 2003/88 verbiete eine Abweichung von den Definitionen des Art. 2. Darüber hinaus diene die verbindliche Festlegung der Begriffe der Zielsetzung der Richtlinie, europaweit einheitliche Mindeststandards zum Schutz der Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer zu schaffen. Von diesen sollen die Mitgliedstaaten nicht durch eine unterschiedliche Auslegung in ihrem jeweiligen nationalen Recht abweichen können, jedoch bleibt ihnen eine günstigere Regelung der Arbeits- und Ruhezeiten, als sie in der Richtlinie vorgesehen ist, möglich.

Insbesondere die Tatsache, dass der Feuerwehrmann durch seinen Arbeitgeber verpflichtet wurde, während seiner Bereitschaftszeit an einem bestimmten Ort (unerheblich, dass es sich hierbei um den Wohnsitz und nicht den Arbeitsplatz handelt) zur Verfügung zu stehen und dessen Ruf innerhalb weniger Minuten nachzukommen, schränkt nach Ansicht des EuGH die Freizeitgestaltung und individuelle Lebensführung des Arbeitnehmers erheblich ein. Anders seien dagegen Fälle zu beurteilen, in denen der Arbeitnehmer während seines Bereit-schaftsdienstes „nur“ für den Arbeitgeber erreichbar zu sein habe. Hier sei nur die tatsächliche Leistungserbringung als „Arbeitszeit“ im Sinne von Art. 2 der Richtlinie 2003/88 anzusehen. 

Betont hat der EuGH darüber hinaus, dass die Richtlinie 2003/88 keine Regelung des Arbeitnehmerentgelts enthalte, da diese gem. Art. 153 Abs. 5 AEUV außerhalb der Zuständigkeiten der Europäischen Union (EU) liege. Demgemäß können die Mitgliedstaaten festlegen, dass für Arbeits- und Ruhezeiten eine unterschiedliche Vergütung erfolgt und insbesondere, dass Rufbereitschaften entgeltfrei sind.

Bestätigung der EuGH-Rechtsprechung 

Mit seiner aktuellen Entscheidung bestätigt der EuGH seine früheren Urteile: Bereits zuvor wurden Bereitschaftsdienste in Form der persönlichen Anwesenheit des Arbeitnehmers am Arbeitsplatz (!) als „Arbeitszeit“ im Sinne von Art. 2 der Richtlinie 2003/88 eingeordnet (vgl. EuGH, Simap, 03.10.2000, C-303/98; Jaeger, 09.09.2003, C-151/02; Dellas u.a., 01.12.2005, C-14/04), neu ist demgegenüber die Ausweitung auf den Wohnsitz bzw. auf grundsätzlich jedweden Aufenthaltsort. Ausschlaggebend für diese Einordnung bleibt weiterhin, dass der Aufenthaltsort des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber in örtlicher oder zeitlicher Hinsicht bestimmt wird, etwa indem er diesem zur Verfügung stehen muss, um seine Leistung gegebenenfalls sofort zu erbringen. 

Konsequenzen des aktuellen EuGH-Urteils für Arbeitgeber in Deutschland 

Der EuGH stärkt mit seiner aktuellen Entscheidung nicht nur die Kontinuität seiner eigenen Rechtsprechung, sondern bestätigt auch diejenige der deutschen Arbeitsgerichte zur Rufbereitschaft: Grundsätzlich unterfällt diese als Ruhezeit gem. §§ 2,5 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) nicht der Arbeitszeit, entscheidend ist jedoch deren Begriffsbestimmung durch das Bundesarbeitsgericht (BAG, 19.12.1991, 6 AZR 592/89; 31.01.2002, 6 AZR 214/00). Nach diesem liegt Rufbereitschaft im Sinne einer Erreichbarkeit und potentiellen Leistungserbringung durch den Arbeitnehmer nur vor, wenn dieser weitgehend selbst über seinen persönlichen Aufenthaltsort bestimmen kann. Existieren demgegenüber wiederum örtliche oder zeitliche Vorgaben durch den Arbeitgeber, handelt es sich um „Arbeitsbereitschaft“ bzw. „Bereitschaftsdienst“, welche auch nach deutschem Recht der Arbeitszeit unterfallen. Dies hat vor allem entscheidenden Einfluss auf den Arbeitsschutz. 

Die aktuelle Entscheidung des EuGH spielt dagegen keine Rolle hinsichtlich der Vergütung der unter die Arbeitszeit fallenden Bereitschaftsdienste, da diese, wie oben ausgeführt, in den Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten fällt. Auch das BAG misst der Einordnung der Rufbereitschaft zur Ruhe- oder Arbeitszeit keine unmittelbare Bedeutung für die Frage der Vergütung derselben bei (BAG, 28.01.2004, 5 AZR 530/02). Diese richtet sich vielmehr nach den im Einzelfall einschlägigen arbeits- und tarifvertraglichen Regelungen bzw. Betriebsver-einbarungen. Allerdings sind nach aktueller Rechtsprechung zumindest die Vorgaben des Mindestlohns auch während des Bereitschaftsdienstes zu beachten (BAG, 29.06.2016, 5 AZR 716/15), sodass sich etwaige verbindliche Vorgaben von Arbeitgebern hinsichtlich des Aufenthaltsortes von Arbeitnehmern zumindest auch mittelbar auf deren Entgelt auswirken können.

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