Wir beleuchten, wie das Merkmal der Angemessenheit zum Schutz von Geheimnissen nach dem Geschäftsgeheimnisgesetz auszulegen ist.
Schutz von Geschäftsgeheimnissen
nach § 2 Nr. 1 GeschGehG
Einleitung
Wie zuvor berichtet, ist seit dem 26. April 2019 das neue Geschäftsgeheimnisgesetz (GeschGehG) in Kraft getreten, welches der Umsetzung der Geschäftsgeheimnis-Richtlinie 2016/943/EU dient.
Vor Umsetzung der Richtlinie ins deutsche Recht wurden Geschäftsgeheimnisse in § 17 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) geschützt. Hier wurde für die Klassifikation als Geschäftsgeheimnis und demnach dem Schutz der Information lediglich ein subjektiver Wille zur Geheimhaltung als ausreichend angesehen. Der Anwendungsbereich des GeschGehG ist hingegen klarer eingegrenzt und schützt nur solche Informationen, welche auch objektiv als Geschäftsgeheimnisse zu qualifizieren sind. Gemäß § 2 Nr. 1 GeschGehG liegt ein zu schützendes Geschäftsgeheimnis vor, wenn die jeweilige Information nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich und daher von wirtschaftlichem Wert ist, angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen ergriffen wurden und ein berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung der Information besteht.
Was unter angemessen Geheimhaltungsmaßnahmen zu verstehen ist, ist eine Frage der Auslegung. Im Folgenden wird das Merkmal der Angemessenheit der Geheimhaltungsmaßnahmen näher beleuchtet.
Gesetzesbegründung
In der Gesetzesbegründung (Drucksache 19/4724, S. 24) wird ausgeführt, dass die Art der Geheimhaltungsmaßnahme von der Art des Geschäftsgeheimnisses und den konkreten Umständen der Nutzung abhängt. In Betracht kämen insbesondere physische Zugangsbeschränkungen oder vertragliche Sicherungsmechanismen.
Ob die jeweiligen Geheimhaltungsmaßnahmen angemessen sind, hängt demnach vom Einzelfall ab und kann folgende Kriterien umfassen:
- Wert des Geschäftsgeheimnisses und dessen Entwicklungskosten,
- Bedeutung für das Unternehmen,
- übliche Geheimhaltungsmaßnahmen im Unternehmen (Zugangssperren, Passwörter, IT-Sicherheitsmaßnahmen),
- Art der Kennzeichnung der Information,
- Verschwiegenheitsverpflichtungen mit Arbeitnehmern und Geschäftspartnern.
Eine eindeutige Konkretisierung ist also nicht vorhanden. Vielmehr muss die Gesamtsituation zur Beurteilung der Angemessenheit herangezogen werden. In der Geschäftsgeheimnis-Richtlinie wird ebenfalls nicht näher auf den Begriff der Angemessenheit eingegangen.
Auslegung unter Berücksichtigung der Normhistorie
Da die Gesetzbegründung die Angemessenheit nicht näher definiert, muss für eine weitere Konkretisierung des Begriffs auf die Normgeschichte der Richtlinie zurückgegriffen werden. Die Geschäftsgeheimnis-Richtlinie nimmt in ihren Vorbemerkungen Bezug auf das 1994 von den Gründungsmitgliedern der Welthandelsorganisation (WTO, World Trade Organization) beschlossene „Abkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums“ (TRIPS-Abkommen). Das TRIPS-Abkommen setzt in Art. 39 Nr. 2 lit. c) für den Geschäftsgeheimnisbegriff voraus, dass angemessene Schritte unternommen wurden, um die betroffene Information geheim zu halten. Allerdings wird auch im TRIPS-Abkommen nicht näher darauf eingegangen, was genau unter angemessenen Maßnahmen zu verstehen ist. Demnach ist zum weiteren Verständnis des Begriffs der Angemessenheit auf die Normhistorie des TRIPS-Abkommens einzugehen.
Das TRIPS-Abkommen hat eine Formulierung des US-amerikanischen Uniform Trade Secrets Act (UTSA) übernommen. Der Uniform Trade Secrets Act definiert Geschäftsgeheimnisse (“trade secrets”) in Sec. 1 (4) als Informationen, einschließlich Formeln, Mustern, Kompilationen, Programmen, Vorrichtungen, Methoden, Techniken oder Verfahren, die einen unabhängigen wirtschaftlichen Wert, ob tatsächlich oder potenziell, daraus ableiten, dass sie anderen Personen, die aus seiner Offenlegung oder Nutzung wirtschaftlichen Wert erhalten können, nicht allgemein bekannt sind und nicht ohne weiteres mit angemessenen Mitteln ermittelt werden können. Zudem müssen den Umständen nach angemessenen Maßnahmen unternommen wurden, um die betroffenen Informationen geheim zu halten.
Nach Ansicht der englischsprachigen Literatur bedarf es für die Angemessenheit der Geheimhaltungsmaßnahmen weder der absoluten noch der größtmöglichen Sicherheit. Stattdessen soll das Erfordernis der Angemessenheit der Maßnahmen bewirken, dass Personen, die mit einem Geschäftsgeheimnis in Berührung kommen, sich diesem Umstand aufgrund äußerer Anzeichen bewusst oder sich dessen nur durch eigene Fahrlässigkeit nicht bewusst sind. Die Formulierung „den Umständen nach“ impliziert, dass die Größe des Unternehmens einen entscheidenden Einfluss auf die Beurteilung der Angemessenheit haben dürfte. Zusätzlich zu den allgemeinen Sicherungsmaßnahmen im Unternehmen ist es unerlässlich für den Geheimnisschutz, dass die betroffene Information den vorgebrachten Sicherungsmaßnahmen unterlegen haben muss. Wenn sich jedoch bereits aus persönlichen und beruflichen Sonderbeziehungen eine Geheimhaltungspflicht ergibt, beispielsweise im Verhältnis zwischen dem Anwalt und seinen Mandaten, sind keine weiteren Maßnahmen notwendig.
Praxis
In der Praxis sollten zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen grundlegende Maßnahmen getroffen werden. Unternehmen sollten vertragliche Maßnahmen ergreifen, welche bereits in die Arbeitsverträge aufgenommen werden. Es empfiehlt sich jedoch, besonders vertrauliche Dokumente als solche zu kennzeichnen. Zudem sind organisations- und informationstechnische Regelungen zu treffen. In der täglichen Organisation sollte insbesondere sichergestellt werden, dass nur berechtige Mitarbeiter Zugriff auf entsprechende geheime Informationen bekommen. Darüber hinaus sollten sicherheitstechnische Maßnahmen umgesetzt werden. Hierzu bedarf es meist eines angepassten Sicherheitskonzepts.
Inwiefern hier ein Rückgriff auf die Regelungen der Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) möglich ist, ist fraglich. Das GeschGehG und die DS-GVO verfolgen unterschiedliche Zwecke. Die DS-GVO dient dem Schutz personenbezogener Daten, das GeschGehG eben nur dem Schutz von Geschäftsgeheimnissen. Für personenbezogene Daten gilt die DS-GVO automatisch. Das GeschGehG entfaltet hingegen erst Wirkung nachdem angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen ergriffen worden sind.
Fazit
Da im deutschen Recht der Begriff der Angemessenheit im Rahmen von Geheimhaltungsmaßnahmen neu ist, ist damit zu rechnen, dass die Rechtsprechung diesen noch näher konkretisieren wird. Diese Aufgabe hat der europäische Gesetzgeber offensichtlich der Rechtsprechung überlassen, da Erwägungsgrund 14 der Geschäftsgeheimnis-Richtlinie explizit eine homogene Definition des Geschäftsgeheimnisses, und damit auch der Angemessenheit der Geheimhaltungsmaßnahmen, verlangt.
Bis dahin bietet es sich an, sich an den Grundsätzen des amerikanischen Rechts zu orientieren. Nicht nur, weil der europäische Begriff der Angemessenheit der Maßnahmen auf den amerikanischem zurückzuführen ist, sondern auch, weil insbesondere internationale Unternehmen darauf zurückgreifen.