Umstrittene Pflicht zur Vorratsdatenspeicherung ausgesetzt

Im Folgenden erläutern wir das Urteil des OVG Münster zur Vorratsdatenspeicherung.

Umstrittene Pflicht zur Vorratsdatenspeicherung ausgesetzt

Einführung

Mit Beschluss vom 22. Juni 2017 hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster entschieden, dass die Pflicht zur Vorratsdatenspeicherung vorläufig bis zum rechtskräftigen Abschluss der Hauptsache für die klagende Telekommunikationsdienstanbieterin ausgesetzt wird. Die Bundesnetzagentur reagierte prompt auf den Beschluss des OVG und verkündete, bis zum Urteil im Hauptverfahren die Pflicht zur Speicherung auch gegenüber anderen Telekommunikationsdienstleistern nicht durchzusetzen. 

Was ist die Vorratsdatenspeicherungspflicht? 

Die sogenannte Vorratsdatenspeicherungspflicht wurde im Dezember 2015 eingeführt und sollte ab dem 1. Juli 2017 für alle Telekommunikationsdienstanbieter verbindlich gelten. Sie umfasst die anlasslose Speicherung von Daten zum Zwecke der Strafverfolgung auf Vorrat, die durch die Nutzung des Dienstes anfallen. Darunter fallen also Verkehrsdaten und Standortdaten. Für letztere gilt eine Speicherpflicht von vier Wochen, alle anderen Daten werden für einen Zeitraum von zehn Wochen gespeichert. 

Die Diskussion über die Vorratsdatenspeicherung hält schon lange an: Befürworter halten sie für ein evidentes Instrument der Verbrechensbekämpfung. Durch den nur im Einzelfall stattfindenden Zugriff auf die personenbezogenen Daten verdächtiger Personen sei der Grundrechtseingriff gering. Auf der anderen Seite kritisieren Gegner die Regelung: Die flächendeckende und ausnahmslose Speicherung von Telekommunikationsdaten sei ohne Einschränkungen des Personenkreises, des Kommunikationsmittels sowie der Daten unverhältnismäßig zum in wenigen Einzelfällen tatsächlich vorkommendem Zugriff auf die Daten. Insoweit führte auch das Bundesverfassungsgericht bereits im Volkzählungsurteil aus dem Jahre 1983 aus, dass wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, versuchen wird, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen und dadurch in der Entfaltung seiner freier Persönlichkeit gehemmt ist. 

Jetziger Sachverhalt

Klage eines Telekommunikationsdienstanbieters 

Ein Münchener Internetprovider hatte geklagt und ist nun durch einstweilige Anordnung vorzeitig vor Beendung des Hauptverfahrens von seiner Speicherungspflicht entbunden. 

Bundesnetzagentur zieht nach 

In Folge des Beschlusses und seiner Begrüßung von Rechtswissenschaftlern, Bürgerrechtsorganisationen, wirtschaftlichen Interessenverbänden und der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) entschied sich die Bundesnetzagentur für das Absehen von Anordnungen und sonstigen Durchsetzungsmaßnahmen der Speicherpflicht gegenüber allen grundsätzlich verpflichteten Unternehmen. Es kommt somit nicht mehr zur Einleitung von Bußgeldverfahren gegen die Telekommunikationsdienstanbieter, wenn diese die Vorratsdatenspeicherung bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache nicht umsetzen.

Begründung des Gerichts: 

Verstoß gegen das Europarecht 

Das OVG begründete seine Ansicht damit, dass die Vorratsdatenspeicherung gegen das Europarecht verstoße. Die Regelung sei nicht mit Art. 15 Abs. 1 der Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation (RL 2002/58/EG) vereinbar. Zudem verstoße sie auch gegen Art. 7 und 8 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. 

Darüber hinaus nimmt das OVG Bezug auf die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 21.12.2016. Dort hatte das Gericht ergänzend zu einer Entscheidung vom 21.04.2014 verdeutlicht, dass es aufgrund nationaler Regelungen der Vorratsdatenspeicherung nicht zu einer uferlosen Überwachung der Betroffenen kommen dürfe. Die Verhältnismäßigkeit sei strikt auszulegen, also dürfe die Speicherung nur während eines bestimmten Zeitraums und aus eng begrenzten Gründen erfolgen und gerade nicht als allgemeine und unterschiedslose Speicherung nahezu aller Verkehrs- und Standortdaten ausgestaltet sein. Nationale Regelungen müssten die Vorratsdatenspeicherung als Eingriff in den Schutz personenbezogener Daten, zum Schutz des Grundrechts auf Achtung des Privatlebens, auf das absolut Notwendige beschränken. 

Das Gericht stützt seine Entscheidung auf drei Beanstandungen: Zum einen enthalte die Regelung keine Ausnahme. Die Speicherpflicht umfasse alle Personen (auch solche die einem besonderen Berufsgeheimnis unterfallen), alle elektronischen Kommunikationsmittel und alle Verkehrsdaten. Hier fehle es an einem Zusammenhang zwischen den zu speichernden Daten und einer Bedrohung für die öffentliche Sicherheit. Um einen Eingriff in Art. 7 oder 8 der Charta zu rechtfertigen, fehle des Weiteren ein objektives Kriterium zur Beschränkung des Zugangs zu den Daten und ihrer Nutzung für die Verhinderung oder Verfolgung von Straftaten. Zudem enthalte die Regelung keine Verfahrensvorschriften, auch nicht zur vorherigen Kontrolle durch ein Gericht oder eine öffentliche Stelle. Ferner moniert das Gericht die einheitliche Speicherdauer der Daten ohne Unterscheidung bezüglich der Datenkategorien oder anhand der Personenkreise.

Anforderungen an eine mögliche Vorratsdatenspeicherung 

Die Beschränkung der zu speichernden Daten sollte auf das absolut Nötigste beschränkt sein. Dem genüge eine Regelung der Vorratsdatenspeicherung, wenn sie klare und präzise Regeln über die Tragweite und die Anwendung für die Speicherung vorsehe und Mindestanforderungen zur Gewährleistung eines ausreichenden Schutzes vor Missbrauch aufstelle. Dafür bedürfe es einer genauesten Differenzierung, unter welchen Umständen und unter welchen Voraussetzungen eine Maßnahme der Vorratsdatenspeicherung vorbeugend getroffen werden darf. Zudem sind die materiellen Voraussetzungen der Speicherung in die Regelung mit aufzunehmen. Zur Herstellung eines Zusammenhangs zwischen den zu speichernden Daten und dem verfolgten Ziel seien objektive Kriterien der Speicherung zu beachten, die zur Begrenzung des Umfangs der Maßnahme und auch den betroffenen Personenkreis geeignet sind. Eine zulässige Beschränkung könne auch in Bezug auf einen bestimmten Zeitraum, einen Personenkreis oder den Daten vorgenommen werden. Des Weiteren bedürfe es Verfahrensvorschriften, die den Zugang zu den Daten auf das absolut Notwendige beschränken.

Folgeprobleme der Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung 

Grundsätzlicher Zweck einer Vorratsdatenspeicherungspflicht gegenüber TK-Dienstanbieter ist, diese Daten für Strafermittlungszwecke für eine feste Dauer abrufen zu können. Grundsätzlich werden die Pflicht der manuellen Bestandsdatenauskunft der TK-Dienstanbieter in § 113 TKG geregelt. Nach § 113 Abs. 1 S. 4 TKG haben die Unternehmen zur Auskunftserteilung dabei auf alle unternehmensinternen Datenquellen zurückzugreifen. Bezüglich der Zeiträume der Speicherung dieser Verkehrsdaten gilt somit wieder die Rechtslage, wie vor Einführung der neuen Vorratsdatenspeicherung, bei der nach Vertragsmodellen differenziert werden muss und den TK-Dienstanbieter grundsätzlich auch gewisse eigene Entscheidungsspielräume eröffnet werden.

NOCH FRAGEN?

Wir freuen uns auf Ihre Anfrage zu diesem und weiteren Themen!

Informationspflichten für außergerichtliche Streitbeilegungsmechanismen

Wir erläutern die EU-Verordnung zur Online-Streitbeilegung.

Die Online-Streitbeilegung für Verbraucher und Unternehmer

Die zugrundeliegende Verordnung über die Online-Streitbeilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten

Seit dem 09.01.2016 ist die Verordnung 524/2013 über die Online-Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten (sog. ODR-VO) in Kraft und wirkt aufgrund ihrer Qualität als EU-Verordnung unmittelbar. Verpflichtete der Verordnung sind dabei sowohl Unternehmer, als auch die Mitgliedstaaten und die EU-Kommission. Die Kommission wird dazu verpflichtet eine Plattform zur Online-Streitbeilegung (OS-Plattform) zu errichten und zu unterhalten. Die OS-Plattform soll die erste Anlaufstelle für Verbraucher und Unternehmer bei einem möglichen außergerichtlichen Beilegungsverfahren bilden und einen einfachen Zugang zu allgemeinen Informationen und Beschwerdeformularen in allen Amtssprachen zur Verfügung stellen.

Die ODR-VO wurde gleichzeitig mit der Richtlinie über die alternative Streitbelegung für Verbrauchersachen erlassen, womit das Ziel verfolgt wird, das Verbraucherschutzniveau europaweit anzuheben, indem ein effizienter und einfacher Weg zu außergerichtlichen Streitbeilegungsinstrumenten angeboten wird. Darüber hinaus sollen Verbraucher in ihrem Vertrauen in grenzüberschreitende Geschäfte und damit in den „digitalen Binnenmarkt“ gestärkt werden.

Informationspflichten:

Diese Maßnahmen zur Stärkung des digitalen Binnenmarktes bringen für alle „in der Union niedergelassenen Unternehmen, die Online- Kaufverträge oder Online-Dienstleistungsverträge eingehen, und in der Union niedergelassene Online-Marktplätze“ Informationspflichten über die OS-Plattform nach Art. 14 Abs.1 S.1 VO Nr. 524/2013 mit sich. Betroffen von dieser Pflicht sind alle Onlinehändler, die ihren Sitz in der EU haben, ihre Waren oder Dienstleistungen EU-Verbrauchern anbieten und die Bestellung durch den Verbraucher auf elektronischem Weg erfolgt. Nach dem 30. Erwägungsgrund der Verordnung sind auch Online-Marktplätze verpflichtet, also Plattformen, die es Unternehmern gebündelt ermöglicht, ihre Angebote Verbrauchern zur Verfügung zu stellen. Amazon Marketplace oder auch eBay stellt beispielsweise einen solchen Online-Marktplatz dar. Ausgeschlossen sind allerdings Webseiten, die ausschließlich über ein Unternehmen und dessen Angebot informieren, sowie auf Adresse und Öffnungszeiten des Betriebes hinweisen, aber keine Online-Bestellmöglichkeiten eröffnen.

Pflichten von Online-Händlern bei eBay, Amazon und Co.:

Seit vergangenem Jahr war in der Rechtsprechung schon häufiger die Frage umstritten gewesen, ob auch der Unternehmer, der seine Waren auf einem Online-Marktplatz anbietet, selbst auf die OS-Plattform hinweisen muss, also zusätzlich zur grundsätzlichen Informationspflicht des Marktplatzbetreibers.

Das OLG Dresden legte in seiner jüngsten Entscheidung vom 17.01.2017 dazu die Verordnung nach Wortsinn aus und argumentierte, dass Art. 14 Abs. 1 S.1 ORD-VO nur eine Pflicht für die einstellenden Unternehmer und Online-Marktplätze den Link zur OS-Plattform auf „ihren Websites“ aufzuführen, begründe. Diese Formulierung mache deutlich, dass ein Hinweis auf einer anderen Seite als der eigenen nicht genüge, aber der Online-Händler, der die Website eines Online-Marktplatzes nutzt, nicht zur Verlinkung verpflichtet sei. Begründet wird dies auch damit, dass die Angebotsseite des Online-Händlers nicht seine eigene ist, da in der URL regelmäßig nur der Marktplatzbetreiber erkennbar ist und die Internetadresse nicht dem Online-Händler zugeordnet werden kann.

Mit dieser Ansicht steht das OLG Dresden aber allein auf weiter Flur, denn der Rest der Rechtsprechung und Literatur zieht vielmehr den Zweck der Verordnung heran, der darin liegt, „das Vertrauen der Verbraucher in den digitalen Binnenmarkt zu stärken, damit der freie Verkehr von Waren und Dienstleistungen auch im Online-Bereich gewährleistet wird“ (OLG Koblenz, Urt. v. 25.1.2017 – 9 W 426/16). Dies erfordere eine weite Auslegung des Begriffs „Website“, der dann auch Angebotsseiten von Online-Unternehmern auf Online-Marktplätzen umfasst. Das Vertrauen soll dadurch gesichert werden, dass möglichst vielen Verbrauchern eine einfach zugängliche Kenntnisnahmemöglichkeit der OS-Plattform zur Verfügung steht. Darüber hinaus formuliert die ODR-VO die Pflicht, dass die Onlinemarktplätze „gleichermaßen“ zur Bereitstellung des Links auf die OS-Plattform verpflichtet sein sollen, wobei diese Formulierung darauf hinweist, dass eine zusätzliche Pflicht gemeint ist.

Daher gilt auch für alle Online-Händler auf Plattformen wie eBay, Amazon und weiteren die Informationspflicht nach Art. 14 Abs. 1 S.1 ODR-VO.

Inhaltliche und formale Anforderungen:

Der Link zur OS-Plattform muss sich im Impressum befinden und nicht nur in den AGB eingearbeitet sein, da der Link für den Verbraucher „leicht zugänglich“ sein muss, so die Verordnung. Bei der Pflicht aus Art. 14 Abs. 1 S.1 ODR-VO handelt es sich nicht bloß um eine Informationspflicht, sondern um die Pflicht zur Bereitstellung des Links. In diesem Sinne lässt sich auch die in der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärte Streitfrage beantworten, ob der Link „anklickbar“ sein muss, also ob der Verbraucher mit bloßem Anklicken des Links auf die Seite der OS-Plattform weitergeleitet wird. Zum einen erfordert dies die leichte Zugänglichkeit, zum anderen würde die bloße Anführung des nicht anklickbaren Links nicht die Bereitstellungspflicht erfüllen, der Unternehmer hätte in diesem Fall nur auf die Internetseite der Plattform hingewiesen, was hier nicht ausreicht.

Dementsprechend kann die Information im Impressum, das auch die E-Mail Adresse des Unternehmens enthalten soll, wie folgt aussehen: Die Plattform der EU-Kommission zur außergerichtlichen Online-Streitbeilegung finden Sie hier: www.ec.europa.eu/consumers/odr.

Sonderfall Rechtsanwälte:

In diesem Zusammenhang ist auch die Frage relevant geworden, ob Rechtsanwaltskanzleien in ihrem Onlineauftritt einer solchen Bereitstellungspflicht nachkommen müssen. Dies ist zumindest dann der Fall, wenn Rechtsanwälte online eine Dienstleistung iSd ORD-VO anbieten. Die Verordnung fasst den Dienstleistungsbegriff in Art. 4 Abs. 1 lit. d weit und definiert den Dienstleistungsvertrag mit Hinweis auf die Richtlinie 2013/11/EU: „Dienstleistungsvertrag ist jeder Vertrag, der kein Kaufvertrag ist und nach dem der Unternehmer eine Dienstleistung für den Verbraucher erbringt oder deren Erbringung zusagt und der Verbraucher hierfür den Preis zahlt oder dessen Zahlung zusagt“. Nach dieser Definition fallen Rechtsanwaltsverträge in jedem Fall unter den Begriff der Dienstleistung, zusätzlich müssen diese aber Dienstleistungsverträge sein, die online zwischen dem Rechtsanwalt und Verbraucher geschlossen werden. Dazu müssen nach Art. 4 Abs. 1 lit. e ODR-VO die „Dienstleistungen über eine Webseite oder auf anderem elektronischen Weg angeboten“ und vom Verbraucher „auf dieser Webseite oder auf anderem elektronischen Wege bestellt“ haben. Damit fallen nicht nur Vertragsschlüsse, die über die Webseite geschlossen werden, unter den Begriff des Online-Dienstvertrages, sondern auch Vertragsschlüsse per Mail, da diese auf „anderem elektronischen Wege“ erfolgen.

Nehmen Rechtsanwälte Vertragsschlüsse in der dargestellten Form vor, so fallen auch sie unter den Anwendungsbereich der ODR-Richtlinie und müssen den Link zur OS-Plattform unter Angabe der E-Mail Adresse im Impressum bereitstellen.

Konsequenzen beim Verstoß gegen Art. 14 Abs.1 ODR-VO

Die Richtlinie, die die Informationspflicht anordnet, sieht selbst keine Konsequenzen in Form von Bußgeldern oder Ähnlichem vor. Bei fehlendem oder falschen Hinweis kann aber ein wettbewerbsrechtlicher Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch gem. § 8 Abs. 1 Satz 1, § 3a UWG i. V. m. Art. 14 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung (EU) Nr. 524/2013 geltend gemacht werden. Hiermit verbunden wäre die Kostenübernahme der Abmahnkosten.

NOCH FRAGEN?

Wir freuen uns auf Ihre Anfrage zu diesem und weiteren Themen!