Wir beleuchten das Urteil des LG Wiesbaden und gehen genauer darauf ein, welchen zivilrechtlichen Vorschriften SCRUM unterliegt.
LG Wiesbaden zur rechtlichen Einordnung von SCRUM
Einleitung
Das LG Wiesbaden hat am 30.11.2016 entschieden, dass für SCRUM das Werkvertragsrecht anzuwenden sei. Obwohl Scrum als agile Softwareentwicklung tendenziell dem Dienstvertrag unterfällt, scheint eine durchgehende Einordnung als Dienstvertrag nicht sachgerecht.
Zum Sachverhalt
Die Beklagte als sog. Projekt-Owner plante die Erstellung einer Internet-Plattform, die dazu dienen sollte, ehemalige Soldaten und potentielle Arbeitgeber aus der Wirtschaft zusammenzubringen. Diesbezüglich schloss die Beklagte mit der Klägerin als Programmierteam und zugleich auch SCRUM-Master einen LOI (Ein LOI – englisch Letter of Intent – ist eine unverbindliche Absichtserklärung zwischen zwei oder mehreren Vertragspartnern, in dem die Vertragsparteien bestätigen, dass sie in Verhandlungen über einen Vertragsabschluss stehen. Der LOI bildet i.d.R. die Grundlage für den anschließenden Vertrag. Er begründet keinerlei Rechtsansprüche.). Die Parteien vereinbarten, dass das Projekt im sog. SCRUM-Verfahren durchgeführt werden sollte.
SCRUM ist ein agiler Prozess in der Software-Entwicklung. Der Begriff entstammt dem Englischen und bezeichnet das „Gedränge“ von Rugbyspielern um den Spielball. In der Software-Entwicklung wird der Begriff deswegen genutzt, weil sich das gesamte Team ähnlich wie beim Rugby täglich trifft, um sich gegenseitig abzustimmen und zu informieren. Beim SCRUM-Verfahren erfolgt die Softwareerstellung in kleinen Schritten orientiert an den vom Auftraggeber fortlaufend definierten Aufgaben oder vorgegebenen, in der Software abzubildenden Sachverhalten, ohne dass zuvor das Endergebnis der Entwicklung festgelegt ist. Dabei ist der SCRUM-Master dafür verantwortlich, dass das Projekt gelinkt und das gewünschte Ergebnis erzielt wird. Das Verfahren zeichnet sich dadurch ab, dass der Kunde am Anfang in Umrissen beschreibt, was er möchte. Die Software wird dann durch die Entwicklung sog. Sprints zur Projektreife entwickelt und programmiert. Diese Methode eignet sich besonders in den Fällen, in denen der Auftraggeber selbst nicht über genügende Kenntnisse verfügt, um wie bei der klassischen Softwareerstellung ein Lasten- und Pflichtenheft zu erstellen.
Aus dem oben bezeichneten Projekt begehrt die Klägerin Schadensersatz. Die Parteien verhandelten über eine Projektbeendigung gegen Zahlung einer gewissen Summe. Die Beklagte leistete aber nur teilweise.
Entscheidungsgründe des LG
Das LG Wiesbaden wies die Klage als unbegründet ab. Nach der Auffassung des LG unterliegt das vorliegende Vertragsverhältnis den werkvertragsrechtlichen Vorschriften. Denn für die Parteien war nicht die Tätigkeit der Klägerin im Rahmen des Projekts entscheidend, sondern die Realisierung der angestrebten Plattform. Somit lag ein erfolgsabhängiges Schuldverhältnis vor.
Der vereinbarte Erfolg – die Verwirklichung der Plattform – ist nicht eingetreten. Zwar handelt es sich hier nicht um eine klassische IT-Leistung, die eindeutig unter das Werkvertragsrecht einzuordnen wäre, sondern um eine Software-Erstellung im sog. SCRUM-System. Nach diesem System wird auf eine vorgeschaltete Planungsphase verzichtet, da die Planung unmittelbarer Bestandteil des Erstellungsprozesses ist und innerhalb der verschiedenen Sprints stattfindet. Obwohl die Verantwortlichkeiten der Beteiligten im Gegensatz zum klassischen Softwareerstellungsvertrag nicht eindeutig voneinander abzugrenzen sind, bleibt es bei der agilen Software-Erstellung bei der Konzeptionshoheit des Auftraggebers und der Ausführungsverantwortlichkeit des Auftragnehmers.
Ferner vertritt die Beklagte die Auffassung, dass ein Vergütungsanspruch der Klägerin bereits aus dem Grund zu verneinen sei, dass die Leistung nicht fertiggestellt wurde. Jedoch scheitert der Werklohnanspruch der Klägerin nicht nur daran. Die Klägerin kann die Bezahlung des Werklohns schon vor Fertigstellung und Abnahme des Werkes verlangen, weil die Beklagte mit dem Ausgleich der fälligen Rechnungen der Klägerin in Verzug war und die Parteien deshalb die Zusammenarbeit beenden wollten. Aufgrund dessen scheitert der Werklohnanspruch nach der Auffassung des LG daran, dass die von ihr erbrachten Teilleistungen mangels einer hinreichenden Dokumentation für die Beklagte unbrauchbar und damit letztlich wertlos sind. Das seitens des LG eingeholte Sachverständigengutachten hat bei der Überprüfung der Java-Doc-Dokumentation festgestellt, dass eine übergreifende System-/Architektur-Dokumentation gefehlt hat. Diese System-Architektur ist nach den Ausführungen des Sachverständigen essentiell zum Verständnis des Sourcecodes. Ohne die System-Architektur kann eine Weiterführung der Arbeitsergebnisse der Klägerin durch einen Außenstehenden nicht durchgeführt werden.
Stellungnahme
Die Entscheidung des LG Wiesbaden statuiert ein Exempel im Hinblick auf die Vertragsgestaltung von Scrum. Obwohl agile Softwareentwicklungen, wie beispielsweise Scrum, tendenziell als Dienstvertrag einzustufen sind, ordnet das LG diese unter das Werkvertragsrecht ein.
Dies hat zur Bedeutung, dass Scrum anwenderfreundlicher und zugleich haftungsreicher ist. Die Anwenderfreundlichkeit lässt sich auf die werkvertragsrechtlichen Vorschriften zurückführen. Zentrales Argument ist dabei, dass der Auftragnehmer einen Erfolg statt eine Leistung schuldet. Außerdem bestehen bei der Annahme eines Dienstvertrags keine Mängelrechte.
Eine durchgehende Einordnung als Werkvertrag ist nicht sachgerecht, da die Eigenheit agiler Projektverfahren eine vertragsrechtliche Differenzierung erfordert. Es hat eine vertragsrechtliche Differenzierung zwischen der Phase bis zur Herstellung einer ersten Fassung einer lauffähigen und demonstrierbaren Grundfunktionalität und der darauffolgenden Phase der Anpassung und Weiterentwicklungen zu erfolgen. Erstere liegt ausschließlich im Verantwortungsbereich des Auftragnehmers. Dieser schuldet die Erbringung eines vereinbarten Erfolgs und ist daher klar unter das Werkvertragsrecht zufassen. Letztere Phase ist durch die starke Mitwirkung und Mitgestaltung des Auftraggebers geprägt und daher unter das Dienstvertragsrecht zu fassen. Nach dieser Differenzierung ist allenfalls die Annahme eines gemischt-typischen Vertrags sachgerecht.