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Ausgehend vom Urteil des BVerfG gehen wir näher auf die Voraussetzungen des § 97 StPO und die Grundrechtsfähigkeit ausländischer juristischer Personen ein.

Besonderes Beschlagnahmeverbot in Anwaltskanzleien

 

Einführung

Das Interesse der Allgemeinheit an einer wirksamen und geordneten Rechtspflege bedarf eines besonderen Schutzes der Vertrauensbeziehung zwischen Anwalt und Mandanten. Dementsprechend hoch müssen die Rechtfertigungsvoraussetzungen eines Eingriffs in diese Vertrauensbeziehung sein. 

Im Rahmen von strafrechtlichen Ermittlungen bedarf es gem. § 105 Abs. 1 der Strafprozessordnung (StPO) grundsätzlich eines richterlichen Beschlusses für Durchsuchungen. 

Außerdem gilt für Durchsuchungen bei Rechtsanwälten zusätzlich das Beweisverwertungsverbot des § 160a StPO, wonach Durchsuchungen bei einem Rechtsanwalt unzulässig sind, wenn Ermittlungsmaßnahmen Erkenntnisse bringen würden, über die der Rechtsanwalt das Zeugnis gem. § 53 Abs. 1 Nr. 1 StPO verweigern dürfte.

Jedoch geht den Regelungen des § 160a StPO das Beschlagnahmeverbot aus § 97 Abs. 5 StPO vor. Dieses Beschlagnahmeverbot war unter anderem Gegenstand der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 27.06.2018 (Az. 2 BvR 1287/17), die sich mit der Durchsuchung der US-Kanzlei Jones Day durch die Staatsanwaltschaft München II am 15. März 2017 beschäftigte.

Urteil Az. 2 BvR 1287/17

Im Rahmen der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft München II gegen Volkswagen wegen Abgasmanipulationen an Dieselfahrzeugen, wurde die US-Kanzlei Jones Day am 15. März 2017 durchsucht. Diese wurde von der Volkswagen AG zur „Beratung zu bestimmten Fragen im Zusammenhang mit den bei Dieselmotoren bekannt gewordenen Unregelmäßigkeiten“ beauftragt. Jedoch betraf die Durchsuchung nur das Tochterunternehmen Audi AG. Eine Mandatierung von Jones Day durch Audi selbst lag nicht vor. Gegen diese Durchsuchungsanordnung legte Jones Day Beschwerde beim BVerfG ein, was jedoch ohne Erfolg blieb. Die dabei aufgeworfenen juristischen Fragestellungen des BVerfG im Beschluss v. 27.06.2018 (Az. 2 BvR 1287/17) sollen vorliegend näher beleuchtet werden.

Zulässigkeit von Beschlagnahmen gem. § 97 StPO 

Die durch Jones Day gerügte Untersuchung stützte sich auf § 103 StPO und sollte der Auffindung von Dokumenten dienen, die von der Beschwerdeführerin im Zuge ihrer internen Ermittlungen über die Vorgänge um den 3,0 Liter-Dieselmotor der Audi AG zusammengetragen oder erstellt worden waren. Dabei wurden Unterlagen aus den Büros der sachbearbeitenden Rechtsanwälte und einem eigens für das Mandat eingerichteten Aktenraum sichergestellt.

Dagegen reichten die Anwälte von Jones Day Klage ein. Im Rahmen des Klageverfahrens waren die Fachgerichte der Ansicht, dass § 160a Abs. 1 S. 1 StPO im Zusammenhang mit Durchsuchungen nicht anwendbar ist. Die Vorschrift regelt, dass eine Ermittlungsmaßnahme, die sich gegen einen Rechtsanwalt richtet und Erkenntnisse liefern könnte, über die er ein Zeugnisverweigerungsrecht hätte, unzulässig ist.

Davon ausgenommen sind laut der Entscheidung des BVerfG jedoch Durchsuchungen und Beschlagnahmen. Würde das absolute Beweiserhebungs- und verwendungsverbot auf Durchsuchungen, Sicherstellungen und Beschlagnahmen von Mandantenunterlagen eines Rechtsanwalts ausgedehnt werden, würde dies „die Effektivität der Strafverfolgung in erheblichem Maße einschränken“. Dies könne nur in Ausnahmefällen geschehen. Die Zulässigkeit von Beschlagnahmen bei Berufsgeheimnisträgern sei deshalb allein an § 97 StPO zu messen, und zwar auch dann, wenn dieser ein niedrigeres Schutzniveau vorsehe.

Der § 97 StPO schützt nur das Vertrauensverhältnis zwischen dem Zeugnisverweigerungsberechtigten und dem in einem Strafverfahren konkret Beschuldigten. Bei Rechtsanwälten dürfen also nach § 97 StPO zulässige Beschlagnahmen durchgeführt werden, wenn – wie hier – kein konkretes Mandatsverhältnis mit einem Beschuldigten besteht. Das Beschlagnahmeverbot des § 97 StPO wäre nur einschlägig gewesen, wenn die Volkswagen AG der Kanzlei Jones Day ein konkretes Mandat für die Vertretung eines Beschuldigten in einem Strafverfahren oder Bußgeldverfahren gegen leitende Personen erteilt hätte. Da somit kein konkretes Mandat vorlag, fehlte es auch an einer besonders schützenswerten Vertrauensbeziehung. Die Untersuchung stellte vielmehr eine dem deutschen Recht fremde „External Investigation“ dar, auf die der Mandant nur geringen Einfluss hat und im Wesentlichen dem Interesse von US-Behörden dient.

Ebenso bestätigte das BVerfG, dass auch Unternehmen grundsätzlich dem Schutz des § 97 StPO unterfallen. Zwar können Unternehmen formal gesehen keine „Beschuldigten“ in einem Strafverfahren sein, jedoch wird ihnen eine „beschuldigtenähnliche“ Stellung eingeräumt.

Grundrechtsfähigkeit ausländischer Kanzleien

Des Weiteren unterstrich das BVerfG seine bisherige Rechtsprechung (siehe Az. 2 BvR 1036/08) bezüglich der Grundrechtsfähigkeit ausländischer Kanzleien.

Juristische Personen können Grundrechtsverletzungen nur nach Art. 19 Abs. 3 GG geltend machen. Der Sitz einer juristischen Person bestimmt sich nach dem tatsächlichen Mittelpunkt ihrer Tätigkeit. Bei mehreren Standorten und oder in mehreren Ländern, bestimmt sich ihr Sitz nach dem Ort der tatsächlichen Hauptverwaltung. Eine international verflochtene juristische Person hat mithin nur dann ihren Hauptverwaltungssitz im Inland, wenn auch die Mehrheit der Entscheidungen über die Geschäftsführung im Inland fällt.

Dafür muss eine juristische Person über eine organisatorisch eigenständige Stellung und einen inländischen Tätigkeitsmittelpunkt verfügen. Eine Eigenständigkeit des Münchner Standortes von Jones Day lag nicht vor, weil der deutsche verantwortliche Partner keine eigene Verantwortung hat, sondern die Münchner Anwälte unter der Aufsicht des amerikanischen Partners der Gesamtkanzlei stehen. So seien die Vollmachten auch nicht vom verantwortlichen Partner in München, sondern von dem für Deutschland verantwortlichen Partner unterzeichnet. 

Fazit

Das besondere Vertrauensverhältnis wird solange geschützt, wie ein konkretes Mandat vorliegt und die Kanzlei im Inland tätig ist. Ist die Kanzlei international tätig, muss sie nachweisen, dass sie eigenständig tätig ist. Nur dann kann sie sich bei Durchsuchungen auf den Grundrechtsschutz aus Art. 12, 13 GG berufen, die entsprechend kritisch im Rahmen der Verhältnismäßigkeit überprüft werden müssen. Eine Anmietung von Räumlichkeiten im Gebäude des Auftraggebers – unabhängig ob Tochter- oder Mutterkonzern – und eine sporadische Beschriftung mit Pappschildern stellt noch keine Kanzlei dar.

Die Verfassungsbeschwerden zeigen die Schwierigkeiten des anwaltlichen Berufsrechts auf. Wenn die Sozietät eine Organisationsform außerhalb Europas wählt, ohne eindeutigen inländischen Bezug einzelner Kanzleistandorte, kann sich eine Kanzlei nicht auf die Grundrechte stützen. Diese könnten nur gemeinsam von der Partnerschaft als solcher geltend gemacht werden. Zudem würde auch eine gemeinschaftliche Verfassungsbeschwerde sicherlich vom Bundesverfassungsgericht ausführlich im Hinblick auf die Beschwerdebefugnis geprüft werden. 

An der Situation kann nur der Gesetzgeber etwas ändern. Es lässt sich jedoch nur schwer begründen einen deutlich erweiterten Beschlagnahmeschutz nur deswegen zu schaffen, weil mit der Untersuchung eine Anwaltskanzlei beauftragt wurde. Insbesondere würden dann Anwälte gegenüber anderen Ermittlungen durchführenden Unternehmen z.B. Wirtschaftsprüfungsgesellschaften etc. privilegiert.

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