Die Geschichte des Harvard-Konzepts: Wie aus einem universitären Projekt ein weltveränderndes Verhandlungsmodell wurde

Gruppe, die nach dem Harvard-Konzept verhandelt
Gruppe, die nach dem Harvard-Konzept verhandelt

Die Geschichte des Harvard-Konzepts: Wie aus einem universitären Projekt ein weltveränderndes Verhandlungsmodell wurde

Verhandlungen begleiten das menschliche Miteinander seit jeher, in der Politik, in der Wirtschaft, in der Familie. Jahrtausendelang wurden sie jedoch meist als Machtspiele verstanden: Wer sich durchsetzen konnte, gewann, wer nachgab, verlor. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelte sich ein Ansatz, der dieses Nullsummen-Denken grundsätzlich in Frage stellte: das Harvard-Konzept des interessengerechten Verhandelns.

Dieser Ansatz revolutionierte, wie Menschen Konflikte lösen und Einigungen erzielen, mit nachhaltigem Einfluss auf internationale Diplomatie, Unternehmensführung und Mediation. Doch wie ist dieses Konzept entstanden, wer prägte es, und warum wurde es überhaupt entwickelt?

Die Ursprünge des Harvard-Konzepts

Das Harvard-Konzept (englisch Harvard Negotiation Project) wurde Ende der 1970er-Jahre an der Harvard University entwickelt, einem der weltweit führenden akademischen Zentren für Rechtswissenschaften und Sozialforschung.

Begründet wurde es durch die beiden Juristen Roger Fisher und William Ury, die 1979 das „Harvard Negotiation Project“ ins Leben riefen. Ihr Ziel war es, eine wissenschaftlich fundierte Methode für konstruktive, faire und effiziente Verhandlungen zu entwickeln,  eine Alternative zu den damals vorherrschenden konfrontativen Verhandlungsmustern, die auf Druck, Drohung oder taktischem Nachgeben beruhten.

1979 veröffentlichten Fisher und Ury das Buch „Getting to Yes: Negotiating Agreement Without Giving In“, das rasch weltweite Verbreitung fand. Später ergänzten unter anderem Bruce Patton und Douglas Stone das Team und trugen zur Weiterentwicklung und Popularisierung des Ansatzes bei.

Warum wurde das Harvard-Konzept entwickelt?

Die 1970er-Jahre waren von internationalen Spannungen geprägt: Kalter Krieg, Ölkrise, wachsende globale Konflikte. Gleichzeitig stieg in Wirtschaft und Politik das Bewusstsein, dass klassische Machtverhandlungen oft zu instabilen oder unhaltbaren Ergebnissen führten.

Roger Fisher selbst hatte als Berater für internationale Konfliktlösungen gearbeitet, unter anderem im Kontext des Nahostkonflikts und erkannte, dass viele Verhandlungen scheiterten, weil die Beteiligten sich auf Positionen versteiften, anstatt die dahinterliegenden Interessen zu verstehen.

Das Harvard-Konzept entstand also aus der praktischen Notwendigkeit, Konflikte auf eine Weise zu lösen, die nicht nur kurzfristige Vorteile, sondern langfristige Beziehungen und gegenseitigen Nutzen schafft.

Die vier zentralen Prinzipien des Harvard-Konzepts

Das Harvard-Konzept beruht auf vier klaren Grundprinzipien, die den Kern seines Erfolgs bilden. Sie sollen Verhandlungsparteien helfen, vom Gegeneinander zum Miteinander zu gelangen.

1. Menschen und Probleme getrennt voneinander behandeln

Emotionen, Wahrnehmungen und Missverständnisse sind oft die größten Hindernisse in Verhandlungen. Das Harvard-Konzept betont, dass man die persönliche Beziehungsebene von der Sachebene trennen muss. Die Menschen sind nicht das Problem, das Problem ist das Problem.

Das bedeutet: Auch wenn die Gegenseite emotional reagiert oder unfair agiert, sollte man sie nicht als Gegner sehen, sondern als Partner bei der gemeinsamen Problemlösung.

2. Auf Interessen, nicht auf Positionen konzentrieren

Statt stur an Positionen festzuhalten („Ich will Preis X!“), sollte man die dahinterliegenden Interessen ergründen („Warum ist mir dieser Preis wichtig?“). So können Win-win-Ergebnisse entstehen, anstelle von Kompromissen, bei denen jeder verliert.

Man kann das Prinzip anhand eines einfachen Beispiels verdeutlichen: Zwei Kinder streiten sich um eine Orange. Nun können Mutter oder Vater die Orange einem Kind zusprechen oder aber die Orange „gerecht“ in zwei Hälften teilen. Oder aber, die Eltern fragen die Kinder nach deren dahinter liegenden Interessen, in diesem Fall, wofür sie die Orange jeweils benötigen (Harvard Konzept). Liegt der Fall nun so, dass ein Kind das Fruchtfleisch der Orange essen möchte und das andere Kind die Schale als Abrieb für einen Kuchen benötigt, dann gibt es eine sehr viel smartere Möglichkeit, als die Orange in zwei Hälften zu teilen.

3. Entscheidungsoptionen zum beiderseitigen Vorteil entwickeln

Das Konzept fördert die gemeinsame Entwicklung von Optionen, bevor man sich auf eine Entscheidung festlegt. Ziel ist, möglichst viele Lösungsmöglichkeiten zu schaffen, aus denen später die beste gewählt werden kann. In unserem Beispiel mit den Orangen dürfte eine Lösungsoption ausreichen, in komplexeren Fällen kann ein bunter Straus solcher Optionen sehr hilfreich sein.

Hier gilt der Grundsatz: erst breit denken, dann präzise entscheiden. Das erhöht die Chance, eine Lösung zu finden, die Interessen aller Beteiligten optimal berücksichtigt.

4. Objektive Entscheidungskriterien anwenden

Statt auf Macht, Druck oder Emotionen zu bauen, sollen Verhandlungsergebnisse auf objektiven Kriterien beruhen, etwa Marktwerten, rechtlichen Standards oder Expertenmeinungen.

Das schafft Legitimität und sorgt dafür, dass das Ergebnis als fair wahrgenommen wird. In dieser Sachorientierung liegt eine weitere wesentliche Stärke des Harvard-Konzepts.

Erste Anwendungen: Vom Klassenzimmer in die Diplomatie

Schon kurz nach seiner Veröffentlichung wurde das Harvard-Konzept in vielfältigen Kontexten erprobt. Zunächst fand es Anwendung in der Wirtschaft, etwa bei Tarifverhandlungen oder Fusionen, aber auch in zwischenstaatlichen Gesprächen.

Roger Fisher selbst war mehrfach in internationalen Friedensprozessen beratend tätig. Besonders einflussreich war seine Mitwirkung beim Camp-David-Abkommen von 1978 zwischen Israel und Ägypten, wo viele Grundprinzipien des interessengerechten Verhandelns einflossen, auch wenn das Konzept damals noch nicht vollständig ausformuliert war.

In den folgenden Jahren wurde das Harvard-Konzept weltweit in der Diplomatie, der Mediation und sogar in der Entwicklungshilfe angewendet. Seine Methoden flossen in Programme der Vereinten Nationen, in Verhandlungen zwischen Nordirland und Großbritannien sowie in die südafrikanischen Gespräche zur Beendigung der Apartheid ein.

Weltpolitische Bedeutung und Weiterentwicklungen

Im Laufe der Jahrzehnte wurde das Harvard-Konzept stetig weiterentwickelt.
Einer der wichtigsten Meilensteine war die Einführung des Begriffs BATNA (Best Alternative to a Negotiated Agreement), also der „besten Alternative zu einem Verhandlungsergebnis“. Dieses Konzept hilft Verhandelnden, ihre Verhandlungsposition zu stärken, indem sie wissen, welche bestmögliche Option sie haben, falls keine Einigung zustande kommt.

In den 1990er- und 2000er-Jahren wurden die Ideen des Harvard Negotiation Project auch auf weitere Verhandlungssituationen übertragen. Forscher wie Lawrence Susskind, Sheila Heen und Douglas Stone erweiterten das Modell um Aspekte der Kommunikationspsychologie und Konfliktmoderation.

Heen und Stone prägten etwa mit dem Buch „Difficult Conversations“ (1999) die Anwendung des Harvard-Ansatzes auf schwierige persönliche Gespräche – von Teamkonflikten bis zu Familienverhandlungen.

Auch Organisationen wie das Program on Negotiation (PON) an der Harvard Law School tragen bis heute zur Forschung, Ausbildung und weltweiten Verbreitung des Ansatzes bei. Dort werden Führungskräfte, Diplomaten und Mediatoren geschult, die den Geist des interessengerechten Verhandelns in verschiedenste Kontexte tragen.

Das Harvard-Konzept heute: Mehr als nur eine Verhandlungstechnik

Heute gilt das Harvard-Konzept als Grundlage moderner Konfliktlösung in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Es hat das Denken über Verhandlungen dauerhaft verändert, weg vom Machtkampf, hin zur gemeinsamen Interessenwahrnehmung.

Seine Prinzipien finden sich in Mediationsverfahren, in der Führungskräfteentwicklung und in Friedensverhandlungen wieder. Auch Unternehmen nutzen den Ansatz, um interne Konflikte konstruktiv zu lösen und langfristige Partnerschaften zu pflegen.

Gerade in einer globalisierten, digitalisierten Welt, in der Kooperation über Grenzen hinweg immer wichtiger wird, bleibt das Harvard-Konzept hochaktuell. Seine zentrale Botschaft – „hart in der Sache, weich zu den Menschen“ – ist zeitlos.

Fazit

Das Harvard-Konzept des interessengerechten Verhandelns ist weit mehr als eine Methode, es ist eine Haltung. Es zeigt, dass nachhaltige Einigungen dann entstehen, wenn Menschen ihre Interessen verstehen, respektvoll kommunizieren und gemeinsam nach objektiv fairen Lösungen suchen.

Von den Anfängen im Harvard Negotiation Project über Friedensverhandlungen bis in die heutigen Vorstandsetagen: Das Konzept hat bewiesen, dass Kooperation stärker ist als Konfrontation und dass der wahre Gewinn in gegenseitigem Verständnis liegt.

Gerne steht Ihnen Rechtsanwalt Patrick Jardin als nach dem Harvard Verhandlungskonzept ausgebildeter Mediator bei der Lösung von Konflikten aller Art zur Seite.

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Wenn KI halluziniert: Warum Faktenprüfung bei ChatGPT & Co. unverzichtbar ist

KI-generiertes Bild einer Halluzination
KI-generiertes Bild einer Halluzination

Wenn KI halluziniert: Warum Faktenprüfung bei ChatGPT & Co. unverzichtbar ist

Dass eine Künstliche Intelligenz halluziniert, klingt zunächst etwas merkwürdig, weil es sich um eine Wahrnehmungsstörung und damit um ein Phänomen handelt, das typischerweise bei Menschen auftreten kann.

Halluzination im Zusammenhang mit KI meint, dass diese Informationen hinzuerfindet, die so gar nicht stimmen. Doch was ist der Grund dafür?

Zunächst liegt es an den Fakten, die von dem KI-Modell zugrunde gelegt werden. Handelt es sich um seltene Fakten, sind diese nicht anhand von Mustern vorhersehbar. Das Modell ist aber darauf trainiert, eine Antwort geben zu wollen. Irgendeine Antwort ist danach besser als gar keine. Außerdem besteht statistisch gesehen die Möglichkeit der Richtigkeit bei Abgabe einer Antwort. Wenn keine Antwort gegeben wird, kann das Ergebnis in jedem Fall nicht richtig sein.

Was sollte also bei dem Gebrauch von KI immer beachtet werden?

Die Antworten sollten niemals ohne kritisches Hinterfragen hingenommen werden. Wenn Fußnoten angegeben werden, sollten diese auch tatsächlich überprüft werden. Dabei ist wichtig, dass nicht nur die Existenz der Fußnote, sondern auch die richtige Wiedergabe der dort enthaltenen Informationen abgeglichen werden.

Das bedeutet aber nicht, dass man ganz von der Nutzung von Künstlicher Intelligenz absehen sollte. Die Verwendung kann vor allem im Hinblick auf Texterstellung hilfreich sein. Dennoch ist ein Fakten-Check unentbehrlich.

Lesen Sie hier die Veröffentlichung von OpenAI zum Thema Halluzinationen von Large Language Modellen: https://openai.com/de-DE/index/why-language-models-hallucinate/

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Neue EU-Vorschriften für politische Werbung

Buttrons mit Partei-Werbung
Buttrons mit Partei-Werbung

Neue EU-Vorschriften für politische Werbung

Ab heute gelten EU-weit neue Vorschriften für bezahlte politische Werbung. Künftig muss jede entsprechende Anzeige klar als solche gekennzeichnet sein. Darüber hinaus muss offengelegt werden, wer hinter der Werbung steht und welcher finanzielle Aufwand dafür betrieben wurde.

Nach Angaben der EU-Kommission sollen diese Maßnahmen Bürgerinnen und Bürger dabei unterstützen, zwischen individueller Meinungsäußerung und gezielt platzierter politischer Werbung unterscheiden zu können. Ziel ist es, die Meinungs- und Informationsfreiheit wirksam zu schützen.

Besonders betroffen von den neuen Regelungen sind soziale Netzwerke, auf denen politische Inhalte häufig verbreitet werden.

Lesen Sie hier dazu die Pressemitteilung der Europäischen Kommission:
https://germany.representation.ec.europa.eu/news/transparenz-politischer-werbung-kommission-veroffentlicht-leitlinien-2025-10-08_de

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Herzlich willkommen, Julija Kalpokienė

Dr. Julija Kalpokienė (Of Counsel), Rechtsanwältin und Expertin für Domainrecht, Marken- und Urheberrecht, Vertragsrecht
Dr. Julija Kalpokienė (Of Counsel), Rechtsanwältin und Expertin für Domainrecht, Marken- und Urheberrecht, Vertragsrecht

Wir begrüßen Dr. Julija Kalpokienė

Wir freuen uns, bekannt zu geben, dass Dr. Julija Kalpokienė als Of Counsel in unsere Kanzlei eintritt. 

Einige unserer Mandanten werden Julija aus ihrer laufenden Arbeit mit dem Internet & Jurisdiction Policy Network kennen, andere haben vielleicht ihre Kurse zu geistigem Eigentum, künstlicher Intelligenz oder Technologierecht an der Vytautas Magnus Universität besucht. 

Julija hat früher in diesem Jahr ein Buch über rechtliche Fragen im Zusammenhang mit generativer KI veröffentlicht.

 
Herzlich willkommen, Julija!

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Rickert.Law wünscht frohe Weihnachten! 

Rickert.law wünscht frohe Weihnachten und ein gutes Neues Jahr 2024!

Wir bedanken uns für die vertrauensvolle Zusammenarbeit und wünschen Ihnen Frohe Weihnachten und alles Gute für das Jahr 2024. Viel Erfolg und bleiben Sie gesund!

Das gesamte RICKERT.LAW Team.

PS – Erkennen Sie Ihre Ansprechpartnerin oder Ihren Ansprechpartner?

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Jazz Fest Bonn 2023: jetzt Tickets sichern

Jazz Fest Bonn 2023

Anzeigenmotive in der zettbe für das Jazzfest Bonn 2023

 

Jazz Fest Bonn2023

Im Jahr 2010 fand das erste Jazzfest Bonn in Bonn statt. Wir sind seit Beginn jedes Jahr als Sponsor dabei und freuen uns, dass gestern der Startschuss für das diesjährige Jazzfest gefallen ist.

Vom 1. bis zum 14.5.2023 finden insgesamt 23 Konzerte an 13 Abenden statt. Wer Interesse hat, mit uns ein Konzert zu besuchen, bitte gerne melden.

„Blues im Büro?“

Wir haben für das Programmheft des Jazzfests Bonn 3 Anzeigen entwickelt, die wir Ihnen nicht vorenthalten möchten.

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